Ein langes Wochenende legt sich in die Kurve. Ich lege mich dazu. So geht es mir durch den Kopf als ich die ersten Serpentinen zum Klausenpass hinauf nehme. Die Kehren sind mit Kopfsteinpflaster belegt. Vielleicht sollen sie diejenigen abhalten, weiterzufahren, denen es weiter oben sicherlich zu kalt werden wird, wenn sie hier schon kalte Füße haben.
Es ist sonnig, aber nicht warm. 7 Grad zeigt das Display im Cockpit meines fliegenden Teppichs an. Oben werden die Spitzen der schroffen Felsen, die die Hochebene säumen, von warmem Licht beschienen. Doch dort, wo die Sonne nicht hinkommt, im Schatten der Felsen, ist der erste Schnee liegengeblieben.
So genieße ich die ansteigende Temperatur, als ich nach dem Pass ins Tal herunterfahre. Mit jedem Meter wird es wieder wärmer.
Nach Süden führt mich der Weg, bevor der Winter die Pässe für Motorradfahrer gänzlich unpassierbar machen wird. Doch schon jetzt ist nicht viel los: Pässe wie den Oberalppas oder den Lukmanierpass befahre ich und begegne dabei kaum einem anderen Motorradfahrer.
Biascas erreiche ich um 18 Uhr. Da die Sonne schon hinter den hohen Bergen versunken ist, und es hier unten noch annehmbare Temperaturen zu genießen gibt, suche ich mir ein Zimmer für die Nacht, genehmige mir zum Abendessen eine Pizza, und schlafe schnell ein.
Der nächste Morgen begrüßt mich mit klarem Himmel. Die Sonne allerdings wird sich erst später am Tage über den Bergkamm erheben und auch einige wärmende Sonnenstrahlen ins Tal werfen.
Am Lago Maggiore angekommen führt mich der Weg erstmal am Wasser entlang, doch schon bald biege ich links ab, den Berg über wohlige enge Serpentinen hinauf zur Alpe Di Neggia.
Einige Kilometer weiter verlasse ich die Schweiz über einen verlassenen Grenzübergang. Sofort ab Genzübertritt ist der Asphalt schlechter. Man könnte meinen, die Italiener wollten durch den schlechten Strassenbelag ihr Revier markieren, so deutlich ist der Unterschied. Die Streckenführung ist aber wunderschön: An der Santuario di Penedegra vorbei gibt die Strasse immer wieder mal einen Blick ins Tal und auf den unten liegenden Lago Maggiore frei. Von der Chiesa S.Rocco geniesse ich einen grandiosen Ausblick über den See. Die kleine Kapelle mit Garten und Sehterrasse (sic!) liegt oberhalb des steil abfallenden und baumbestandenen Ufers.

Ich fahre noch einige Kilometer durch den Campo dei Fiori und biege dann ab, um die Fähre von Laveno nach Intra zu nehmen. Eine Seefahrt ist bekanntlich lustig und eröffnet schöne Aussichten. Drüben in Verbania nehme ich ein Hotel an der Promenade Pallanza, mit Blick auf den See und das gegenüberliegende Baveno, dass im Sonnenuntergang erst verschwindet und dann als Reihe kleiner Lichtpunkte wieder aus der Dunkelheit erwacht.
Auch der nächste Morgen begrüßt mich mich Sonne. Ich erkunde als erstes den Campingplatz bei Feriolo, den wir als Studenten vor vielen Jahren bevölkert haben. Damals herrschte freie Platzwahl und es war alles klein und improvisiert. Heute stehe ich an einem Campingpark, der durchprofessionalisiert, aber um diese Jahreszeit schon geschlossen ist. So beschliesse ich eine kleine Offroadeinlage auf dem verlassenen Gelände hinzulegen, bleibe dabei glücklicherweise nicht im tiefen Matsch stecken.
Mein Weg führt mich nun wieder Richtung Norden: Die Cascata del Toce wollte ich schon lange mal sehen. Heute ist die Gelegenheit. Doch bevor ich das obere Ende des Sackgassentales erreiche winkt mir jemand zum Anhalten. Was ist los? Dann sehe ich es auch schon: Almabtrieb der Schafe, Ziegen, Kühe, Esel und Alpakas. Ein nicht endenwollender Strom von Tieren kommt mir auf ganzer Strassenbreite entgegen. Gut dass ich hinter meinem Motorrad im Schutz der Koffer positioniert bin, sonst würden mich die eiligen Herdentiere vermutlich umwerfen.
Oben am Wasserfall angekommen bin ich nicht nur von der Aussicht begeistert. Unter mir der Wasserfall, hinter mir ein frisch beschneiter Gipfel und das gelbe Refugio mit einem warmen Ofen und einem Latte Macchiato für einen Euro und fünfzig. Großartig!
Ein Blick auf die Wetterapp verheißt nichts Gutes: Morgen Schneefall in den Bergen. Aber auch heute schon Regen. Also Zeit, den Heimweg anzutreten. Über den Simplonpass erreiche ich wieder die Schweiz und biege in Brig rechts ab Richtung Nordosten. Unterwegs stelle ich fest, dass ich meine Pläne ändern muss: Sowohl Nufenen als auch Furka sind wegen Schnee geschlossen. Schade. Aber als es bei Geschinen zu regnen anfängt, verspüre ich auch wenig Lust auf Kälte und Schlittertour. Ich kürze die geplante Route ab und steuere direkt den Grimselpass an. Das nächste Frühjahr kommt bestimmt und damit wieder die Gelegenheit, über diese wunderschönen Pässe zu reiten.
Doch heute ist es auf dem Grimselpass ungemütlich: 3 Grad zeigt das Thermometer bei leichtem Nieselregen. Brrrrr. Irgendwie unwirklich hier oben. Ich will schnell wieder runter, muss aber langsam fahren, um nicht auszurutschen.

Ich hatte auch eigentlich vorgehabt, mit der Gelmerbahn eine steile Ausfahrt zu unternehmen. 106% Steigung möchte ich gerne erleben. Doch bei DEM Wetter habe ich keine Lust. Also auch das muss ich auf das nächste Jahr verschieben. Auf dem weiteren Weg heimwärts schiesse ich am Aussichtspunkt Chälrütirank noch ein Abschiedsphoto, bevor ich über Luzern und Baden wieder nach Deutschland komme. Nun aber am rechten Griff drehen, denn zuhause wartet etwas anderes Großartiges auf mich. Da will ich heute noch hin.
Komm mit!