Wo ist die Kirsche? – Das Geheimnis von Piemont und Ligurien

„Mit der Piemont-Kirsche beginnt das Geheimnis von Mon Chéri” – so sagte es Claudia Bertani in einem Werbespot der Praline in den Neunzigern. Aber ich bin einer ganz heißen Sache auf der Spur: Böse Zungen munkeln, dass es die Piemont-Kirsche gar nicht gibt, sondern dass die Pralinenkirschen aus dem Badischen in der Ortenau stammen! Doch wenn das wirklich stimmt: Was gibt es denn sonst im Piemont? Das würde ich gerne wissen. Also nutze ich die spätsommerlichen ersten Oktobertage, um vor Ort nachzusehen.

Dies ist die geplante Route:

Samstag, 30. September

Heute bin ich auf Kirschmission, da muss man eigentlich früh aufstehen. Ganz so früh wird es dann doch nicht, aber immerhin: Um 09:00 Uhr verlasse ich das Haus. Heute will ich erstmal „Strecke machen“. Die Schweiz habe ich erst im August ausführlich bereist. Heute will ich einfach nur durch bzw. drüber hinweg fahren. Auf direktem Weg steuere ich von Stuttgart erstmal den Bodensee an. Da die GS nicht schwimmfähig ist, muss ich auf dem Weg nach Italien immer rechts oder links den größten deutschen See umfahren. Heute geht’s links vorbei. Die österreichische Autobahn durch den Pfänder ist mautfrei bis zur Ausfahrt 23 Hohenems. Die Nutzung spart mir Zeit und Nerven, außerdem entlastet sie die Stadt Bregenz vom Vignettenvermeidungsausweichverkehr.

Eine Vignette für die Schweizer Autobahn klebt noch unter meinem Sitz. Also geht es auf der ziemlich vollen Autobahn durch die eidgenössische Landschaft Richtung St. Bernardino.

Wer kennt es nicht, das alte Graubündener Sprichwort: „Schlaue Zungen munkeln, Chur sollst Du flott umkunkeln.“ Also nehme ich die Abkürzung über den Kunkelspass. Nachteil: Kostet 10 Franken Maut, die man per App bezahlen muss. Vorteil: Einzigartige Streckenführung einschließlich geschottertem, grob in den Fels gehauenen Tunnel und sehr schöner Aussicht ins Tal.

Im Kunkelspasstunnel

Bei Splügen biege ich ab und steuere den gleichnamigen Pass nach Italien an. Hier ist noch mehr Verkehr. Halb Süddeutschland ist hier unterwegs nach Süden. Gut, dass ich auf dem Motorrad unterwegs bin, so kann ich am Stau vorbeifahren. Am Comer See klettert das Thermometer auf 27 Grad. Spätsommer at its best! Die Nacht verbringe ich in einer zum Hotelzimmer umfunktionierten Wohnung mit Top Aussicht. So gefällt mir das!

Sonntag, 1. Oktober

Der Passo San Marco ist wegen Erdrutsch leider gesperrt. Daher ändere ich die Route und fahre erstmal ein Stück Schnellstraßentunnel, dann geht es weiter durch das Valsassina über den Passo Culmine Di San Pietro zum Passo Di Valcava. Hier ist bei klarer Luft eine traumhafte Aussicht in die Po-Ebene. Heute ist es aber diesig. Zum Ausgleich gibt es ein gegrilltes Brötchen.

Den Weg durch die Po-Ebene legt man am Besten auf der Autobahn zurück. An der Mautstelle stehen 8,40 Euro auf dem Display. Ich steige vom Motorrad und sammle die vor dem Automaten herumliegenden Münzen ein (die sind offenbar den Autofahrern aus der Hand gefallen, die trotz zu kurzer Arme versucht haben, das Kleingeld dem Einwurfschacht zuzuführen). So hat mich die Autobahnetappe nur etwa 4 Euro gekostet.

Bei Stradella verlasse ich die topfebene landwirtschaftliche Nutzfläche und komme in eine schöne, hügelige Weinlandschaft. Bloss Kirschen habe ich bislang nicht gesehen.

Der Parkplatz am Passo Del Penice stellt sich als die italienische Version der „Löwensteiner Platte“ heraus. Wie ich mir die anderen motorradverrückten Italiener so ansehe, fällt mir auf, dass viele es hier mit der Sicherheitskleidung nicht so genau nehmen. Einer hat seine etwa 10-jährige Tochter als Sozia dabei. Einziges Sicherheitsfeature: ein rosa geblümter Helm.

Nach einer schönen und kurvenreichen Fahrt entlang des Trebbia checke ich in ein wunderschönes Zimmer in einer alten Villa ein. Dann habe ich eine Verabredung hiermit:

Mahlzeit!

Montag 2. Oktober

Entlang der Kastanienstrasse, der Via Del Castana, bewege ich mich Richtung Westen. Ich steuere den Parco Naturale Delle Capanne Di Marcarolo an. Überall finden sich wunderschöne Ausblicke in die Landschaft. Am Belvedere Del Faiallo sieht man den Hafen von Genua. Das Panorama ist einmalig.

Oben am Monte Beigua stehen viele Antennenanlagen aus vergangenen Zeiten herum. Nur die zwischen ihnen stehende Kirche ist älter. Das Ganze hat einen morbiden Charme, doch es thront über einem grandiosen Ausblick.

Altmetall am Monte Beigua

Ich gondele nun noch durch das Ligurisch-Piemontesische Hinterland, nicht ohne eine ausgiebige Mittagspause. An einem Supermarkt in San Bernardino spricht mich ein freundlicher Mann an, er ist mindestens 85. Er ist von meinem Motorrad sehr angetan, die BMW sei immer sein Traum gewesen. Leider habe er nie eine gehabt, er sei zu klein. Doch er wünscht mir eine gute Reise und so fahre ich über den Colle Dei Giovetti und durch das Forte Centrale Del Melogno meiner heutigen Unterkunft direkt am Strand entgegen. Mann, hab ich ein Glück: Ich habe Urlaub, es ist warm, ich bin groß genug für mein Moped. Nur Kirschen habe ich nicht.

Dienstag, 3. Oktober

Heute wird ein entspannter Fahrtag. Der Morgen mit entspanntem Frühstück, dann die Füße ins Meer tunken. Auschecken um Zehn.

Erstmal geht es an der Küste lang, dann durch die Berge bei bewölktem Himmel.

Um 15:30 bin ich im nächsten Hotel, direkt am Meer gelegen. Vor Ort stelle ich fest, dass die Gastgeber die Rezeption erst um 17:30 öffnen. Toll! Hatte mich auf ein Bad im Meer und spätsommerliches rumhängen in kurzer Hose gefreut. Wenigstens kann ich die Schuhe ausziehen, während ich warte.

Warten mit Meerblick

Um 17:45 kann ich endlich ins Zimmer. Die Inhaberin bemerkt meine schlechte Laune und gibt mir ein Zimmerupgrade, jetzt hab ich nen Balkon mit Meerblick. Und ich ärgere mich über mich selbst ein bisschen, dass ich wegen 2,5 Stunden warten am Strand schlecht gelaunt bin und es andere auch noch spüren lasse. Kann man noch verwöhnter sein? Vielleicht habe ich aber auch einfach nur Hunger. Die nächste Pizzeria ist 50m entfernt. Sie öffnet um 18:30. Wahrscheinlich.

Mittwoch, 4. Oktober

Tag 5 auf dieser Reise und ich hab immer noch keine Kirsche gesehen. Es ist wirklich verrückt. Sollte an der Theorie wirklich was dran sein, dass es diese Piemontkirsche gar nicht gibt? Möglich wäre es ja! Doch halt! Was sehe ich dort am Straßenrand? Die Bäume hier sind ja ganz voll mit Kirschen. Aber die sind noch ganz grün. Das ist leicht zu erklären, denn ich bin ja hier in Ligurien und nicht im Piemont, das wird der Grund sein. Ob man die schon essen kann? Die sehen aus, als würden sie noch ziemlich ölig schmecken. Wahrscheinlich muss ich im Frühjahr wiederkommen, wenn sie reif sind.

Die Kirschen Liguriens

Eine Kirsche ist klein, rot und rund. Einige Kilometer nördlich sehe ich dann am Straßenrand etwas, auf das diese Beschreibung eindeutig zutrifft. Und im Piemont bin ich auch schon. Also ist das hier vielleicht eine Piemontkirsche?

Piemontkirsche 500

Nach einer ausgesprochen kurvenreichen Fahrt durch die Berge auf schmalen Wegen und einer guten Mittagspause in der gleichen Trattoria wie gestern erreiche ich mein Pensionszimmer mit Balkon in Cuneo. Telefonieren, Gedanken sortieren, Video editieren, Blog schreiben, schlafen. Schön!

Donnerstag, 5. Oktober

Morgens mache ich in Cuneo erstmal eine kleine Stadtrundfahrt. Die Stadt ist ganz hübsch und sehr symmetrisch mit Ballon. Doch den Rest des Tages kann das Wetter nicht mit den vergangenen Tagen mithalten. Den ganzen Tag fahre ich erst im Nebel und dann in den Wolken herum. Eigentlich ne super Strecke, die ich mir zusammengestellt habe. Auf und Ab. Auf und Ab. Auf und Ab. Doch leider schaue ich überall dort, wo ich einen Blick in die Ferne genießen wollte, in ein weißes Nichts. Schade.

Die Nacht verbringe ich in einer Pension auf der Panoramica Zegna. Heute ist das Panorama hier nur vernebelt zu genießen. Aber morgen ist hoffentlich wieder mehr Klarheit am Himmel.

Piemontballon in Cuneo

Freitag 6. Oktober

Gestern Abend war das Restaurant im Hause geschlossen. Für einen Hugo mit Chips hat es aber noch gereicht, um mir eine äußerst geruhsame Nacht zu bescheren.

Heute morgen bin ich topfit und bin sehr angetan von meinen Gastgebern, die mir hier als einzigem Gast ein Frühstück rund um einen Teller bereitet haben. Ein Rührei kann ich sogar dazubestellen. Der Kaffee ist hervorragend.

Frühstücksbuffett für eine Person

Die Sicht ist ähnlich wie gestern, als ich losfahre. Ich komme an den Wirkungsstätten von Weltmarken wie Ermenegilio Zegna, Loro Piana und Alessi vorbei. Die Fabriken, in denen die schönen Sachen hergestellt werden, sind aber nicht annähernd so glamourös wie die Boutiquen, in denen sie verkauft werden.

Am Lago Di Orta klart es langsam auf. Wurde auch Zeit.

Lagi Di Orta

Die Route führt über den Passo Della Colma und weiter nach Norden Richtung Domodossala. Hier fülle ich die Espresso- und Tarallivorräte auf. Im Centovalli stehe ich leider vor der Straßensperrung und muss umkehren. Befindet sich hier hinter der Sperre eine geheime Kirschfabrik? Ich werde es nie herausfinden. Ich muss einen kurvenreichen, aber langsamen Umweg in Kauf nehmen, die Sperrung kostet mich sicher eine Stunde.

Bei Biasca biege ich rechts ab und fahre in das sensationelle, kaum bekannte Val Malvaglia hoch. Ich möchte oben am Sass Malt einen Kaffee trinken. Da oben kommt man am Einfachsten entweder mit der Seilbahn oder dem Hubschrauber hin. Auf eigener Achse geht es auch, aber der Weg durch das Tal ist lang, eng, teilweise steil und am oberen Ende unbefestigt. Aber der Ausblick ist eine absolute Sensation!

Sass Malt Parking

Nun ist Endspurt angesagt. Einerseits ist es schon etwas spät geworden, die gesperrte Straße kam ungelegen. Andererseits lohnt sich doch für die 3,5 Stunden Fahrzeit eine komplette Übernachtung irgendwie auch nicht?! Und zu Hause wartet meine Herzkirsche auf mich. Nach längerem Hin- und Her Überlegen bleibe ich in Chur auf der Autobahn: Ich ziehe durch. Um 22:45 bin ich zuhause. Ob ich jetzt erstmal ein Mon Chéri essen sollte? Igitt, nein, ich mag die Dinger doch überhaupt nicht!

Hier bin ich gewesen

Veröffentlicht von MoTranshumance

Born to Ride - Forced to Work

Ein Kommentar zu “Wo ist die Kirsche? – Das Geheimnis von Piemont und Ligurien

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