Kurzentschlossen – Neustart

Ich muss mal wieder an die frische Luft. Seit Monaten habe ich meine bewährten heimischen Quadratmeter nicht verlassen: Homeoffice. Leider bin ich täglich viel zu lange dort. Am Dienstag steht daher fest: Samstag geht es mal wieder für eine Woche in die Berge.

Wohin genau? Keine Ahnung. Am Liebsten in die Alpen. Aber bei diesem verregneten Sommer werde ich es vom Wetter abhängig machen. Mal sehen….der Blick aufs Wetterradar verheißt nichts Gutes. Die beste Möglichkeit, nicht in den Regen zu kommen ist es, sich erstmal westlich der Alpen zu halten. Dann zieht das Regengebiet weg und ich kann durchs Jura fahren, dann ins Vercors, hier und da einige unbefestigte Straßen unter die Räder nehmen, dann vielleicht ein Stück auf der Route des Grandes Alpes fahren…. Ja, das würde mir gefallen.

Samstag 6:00 Uhr. Die Sonne zwinkert zweimal und ich stehe auf. Erstmal noch Brötchen holen, für ein Picknick später irgendwo auf einer Bank: So werde ich es machen, ich freu mich drauf.

Ich schwinge mich auf meine neue alte GS. Den Zwilling meines bewährten Reisebegleiters habe ich vor zwei Wochen gekauft. Nicht nur finde ich dieses Motorrad besonders schön, sondern es passt mir auch wie maßgeschneidert. Und dieses Exemplar hatte vor 2 Wochen grade erst 620 Kilometer auf dem Tacho. Heute, nach dem letzten Wochenendausflug, sind es schon fast 1600. Ansonsten ist das ganze Gerät wie neu, obwohl schon fast 9 Jahre alt.

Kreuz und Quer durch den Schwarzwald geht die Fahrt erstmal los, grobe Richtung Südwest. Es kommt langsam gute Stimmung auf. Ich befahre schmale und steile Straßen, es ist kaum jemand unterwegs.

Picknick

Nach der Mittagspause am Wolflochbach befahre ich die Kurven in Richtung Todtnau. Vor einer Spitzkehre will ich vom dritten in den zweiten Gang zurück schalten. Aber was ist das? Das geht nicht. Komisch. Und dieser französische Kleinwagen, der sich hier in den Schwarzwald verirrt hat, könnte auch schneller und weniger dicht vor mir her fahren. Mit viel Gefühl, Gas und Kupplung schaffe ich es, bergauf die Spitzkehre zu nehmen, ohne umzukippen. Aber Schalten geht immer noch nicht. Nicht rauf und nicht runter. Es geht nur der dritte Gang. Das lässt sich mit Bordmitteln nicht beheben. Oben an der Passhöhe Notschrei (das heißt wirklich so) setze ich einen solchen beim ADAC ab. Hier ist die Fahrt zuende.

Das ist wirklich ärgerlich. Weit bin ich nicht gekommen. Andererseits: Gut, dass das Schmuckstück hier und nicht irgendwo auf der Assietta, der Maira Stura oder einer anderen Schotterpiste kaputt geht.

Dank ADAC Mitgliedschaft bin ich am frühen Abend mit dem Mietwagen wieder zuhause. Das Motorrad kommt per Transporter nach. Alles wird gut. Morgen starte ich neu.

On The Road Again

Am Sonntag Mittag bin ich wieder unterwegs. Jetzt auf der Rocket. Wohl dem, der ein Ersatzmotorrad sein Eigen nennen darf. Mit dem dicken Musikexpress werde ich allerdings leider einige schöne unbefestigte Abschnitte nicht befahren können. Auch angesichts des angekündigten Wetters ist die Rocket eigentlich nicht die erste Wahl, denn abgesehen von einem kräftigen Motor und einem breiten Sitz ist die Fernreisetauglichkeit des Geräts eingeschränkt. Windschutz: Kaum. Heizgriffe: Keine. Den Spruch mit dem Heizgriff rechts spare ich mir an dieser Stelle. Mit dem muß man besonders bei nasser Fahrbahn sparsam hantieren. Und wenn man zu beherzt am rechten Griff dreht, dann hält der Hinterreifen nicht wieder bis nach Hause durch, 221 NM Drehmoment sind einfach zu viel. Also gehe ich es gemütlich an und steuere auf der Autobahn erstmal die Vogesen an. Bei Wissembourg komme ich über die deutsch-französische Grenze. Von Corona-Beschränkungen will hier keiner etwas wissen. Wäre mir aber auch egal, ich bin doppelt geimpft und habe 10 FFP Masken sowie einen halben Liter Desinfektionsmittel dabei. Sicher ist sicher!

Ich durchquere die Vogesen in Richtung Süden, immer den bangen Blick nach oben und immer auf der Flucht vor dem miesen Wetter, die schweren grauen Wolken begleiten mich zuverlässig. Links grau, vorne blau: Ich weiss, wo ich hin muss.

Musikexpress. 2,3l Hubraum. 221NM.

Der berufliche Stress der letzten Wochen will aber überhaupt noch nicht von mir ablassen. Ich bin irgendwie immer noch gehetzt, will immer schnell weiter. Als ich in Gerardmer ankomme, besorge ich mir erstmal ein Bier und eine Pizza, doch ich bleibe nicht lange auf meiner Bank sitzen, es holt mich nun doch noch der Regen ein.

Der Montag begrüßt mich wolkenverhangen und trübe. Das Wetter trägt wahrlich nicht zur Entspannung bei. Die Route Des Crêtes in den Wolken, etwas mehr Sicht in die Weite findet sich erst am Grande Ballon.

Nun geht es weiter und weiter Richtung Doubs und Chartreuse. Ich habe so viel Schwung drauf, dass ich auch noch von der Obrigkeit fotografiert werde. Ungefragt! Wie schnell darf man hier, 80? Tja, ich war deutlich schneller. Da wird mir sicher ein teures Souvenir nachgeschickt werden.

Ich bewege mich im Grenzgebiet zwischen Frankreich und der Schweiz. Eine wirklich schöne Gegend ist das hier. Das Tagesziel ist Thonon-Les-Bains am Genfer See. Leider muß ich mitten durch Genf fahren, denn Thonon liegt am Südufer des Genfer Sees, also auf der anderen Seeseite, und die Rocket ist leider nicht schwimmfähig. Dort liegt der Ausgangspunkt der Route Des Grandes Alpes. Mit der Rocket müsste die eigentlich gut zu befahren sein, es gibt breite Straßen und auch die Kurven sind absolut pauschaltouristentauglich. Aber das Wetter!?!

Französische Gebrauchtwagenausstellung

Dienstag: Nach einer Nacht in einem Kinderbett fahre ich erstmal zum Bäcker und dann an die Tankstelle. Frisch gestärkt rollen der Musikexpress und ich auf der Route Des Grandes Alpes nach Süden. Gegen Mittag aber zieht der Himmel immer weiter zu. Morgen wird die gesamte Region ein einziges Regengebiet sein. Also fahre ich Richtung Albertville und dann durch die Chartreuse Richtung Grenoble.

Am Col Du Granier genehmige ich mir zum ersten Mal, seit ich unterwegs bin, eine Mittagspause. So langsam komme ich runter, die Sonne kommt raus und ein wenig Entspannung zieht ein. Ich buche mich vorsorglich für zwei Nächte in einer Pension hinter Grenoble an der Isere ein. Mit einem Zuckerschock, verursacht durch den gigantomanischen Schokoladeneisbecher, bin ich wieder fit genug, um auf schnellster Strecke mautfrei in mein Zimmer zu kommen. Doch vorher besorge ich mir noch Proviant für morgen.

Das „La Vallee Des Noyers“ ist eine sehr empfehlenswerte Unterkunft. Ich werde von Samia und Rashid herzlich empfangen und nachdem ich mich im Zimmer „Blue Zen“ installiert habe, werde ich zu einem Pastis auf der Veranda eingeladen. Die große Gemeinschaftsküche leistet mir am Mittwoch gute Dienste als Büro und Telefonzentrale. Tatsächlich regnet es den ganzen Tag. Erst am Abend läßt der Regen nach. Das gibt Hoffnung auf gutes Wetter morgen!

Donnerstag: Ich starte den Musikexpress und befahre die Route Des Ecouges, die Gorge Du Nan und die Combe Laval. Die Aussichten von hier oben hauen mich immer wieder um. Wenn man bedenkt, dass viele Leute hier auf dem Weg nach Süden einfach vorbeifahren….schade für die Leute, sie wissen nicht, was ihnen entgeht.

Gorges Du Nan

Über den Col De Rousset geht es weiter nach Süden, und ich fahre weiter durch die Gorges des Gâts bis nach Gap. Hier ist der Wendepunkt dieser Tour: Morgen geht es wieder nordwärts.

Freitag: Der Morgen begrüßt mich mit den ersten Sonnenstrahlen. Heute verspricht die Wettervorhersage eine störungsfreie Tour. Erstmal geht es nach Barcelonette. Hier biege ich Richtung Norden auf die Route Des Grandes Alpes ab. Als ich über den Col De Vars, den Col D‘Izoard und den Col De Telegraphe fahre bin ich richtig im Flow. Am Galibier ist aber die Auffahrt auf die Passhöhe gesperrt. Heute haben die fahradverrückten Franzosen einem Radrennen den Vorrang eingeräumt. In Avrieux ist die gesamte Durchfahrtstraße gesperrt. Die sehr aufgeregte Oberordnerin mit der Wahnweste bedeutet mir: Ich muss 20 Minuten warten. Dann kommt die Radler-Karawane durch den Ort geschossen, nach wenigen Sekunden ist sie vorbei. Doch es geht immer noch nicht weiter: Wir warten noch weitere 10 Minuten, bis auch das Abschlussfahrzeug mit Blaulicht und Martinshorn durch den Ort kommt. Endlich, es kann weitergehen!

Oben am Col De L‘Iseran stelle ich fest, dass die Fußrasten schon etwas gelitten haben. Die Schräglagennippel stören jetzt nicht mehr.

Ich brauche neue Nippel!

Überall an den Pässen wird man von professionellen Fotografen abgelichtet. Die Bilder sind zwar nicht so teuer wie das Bild, das mir vermutlich demnächst von der Obrigkeit zugeschickt werden wird, aber dafür sieht man deutlich besser drauf aus. Hier einige Beispiele:

https://colphotos.com/index.php?route=product/product&product_id=727407

https://www.griffephotos.com/folio/7469/media/GD101Y1F612U2SYA5S2G1H/tom12031.jpg.html

Geklautes unscharfes Bild eines länglichen Teilnehmers

Es ist Zeit, eine kleine Pause zu machen. Ich lege mich auf eine Wiese mit Aussicht, aber ich halte es nicht lange aus: Wenn ich noch 5 Minuten hier liegen bleibe, kriege ich nen Sonnenbrand. Erst regnet es tagelang, und jetzt das! Naja, ich habe ja noch ein Stück Weg vor mir, also rolle ich entspannt den Berg wieder runter. Der Tank ist schon wieder leer, also rolle ich durch bis zur Tankstelle in Villard Sur Doron. Das Navi regt nach einer Neuberechnung der Route die Befahrung der D123 zum Signal De Bisanne an. Die Straße ist steil und schmal. Hier wird meinen Fahrkünsten Einiges abverlangt. Aber die Aussicht oben ist phantastisch. In Sallanches esse ich eine Pizza beim französischen Meister bzw. Pizza-Vize-Weltmeister und schlafe später mit Blick auf den das ganze Tal beherrschenden Montblanc ein.

Samstag: Ob ich es heute bis nach Hause schaffe? Ich will es versuchen – doch das Wetter macht mir wieder einen Strich durch die Rechnung. Am Mittag zieht der Himmel zu und der Regen setzt ein. Also suche ich mir eine Bleibe in Brig, setze ich mich auf den Balkon meines Zimmers, telefoniere und schreibe an meinem Reisebericht. Und ein Nachmittagsschläfchen ist auch noch drin.

Der Sonntag beginnt früh. Ich habe noch ein gutes Stück vor mir, doch wo ich schon mal da bin und es ausnahmsweise mal nicht regnet, suche ich noch ein paar schöne Aussichten, bevor ich auf die Autobahn einbiege und nach Hause donnere.

Adieu Montblanc!

Zuhause stelle ich fest, dass der Kilometerzähler des Musikexpress deutlich gewachsen, aber das Profil am Hinterreifen deutlich geschrumpft ist. Hoffentlich ist zur nächsten Tour die GS wieder fit!

Ein Video von der Tour habe ich auch gemacht, guck mal:

Veröffentlicht von golem1303

Born to Ride - Forced to Work

4 Kommentare zu „Kurzentschlossen – Neustart

  1. Klasse Ulf, schön geschriebener Reisebericht. Film schau ich mit zuhause an. Am Signal De Bisanne hab ich mal meine Mavic 500m steigen gelassen (damals hat das noch niemanden interessiert), sensationeller rundum Blick.
    Beste Grüße
    Michael /mimoto

    Gefällt 1 Person

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