Unter einem Easter Egg (zu Deutsch „Osterei“) versteht man in der Informationstechnologie eine vom Entwickler versteckte Überraschung in einem Computerprogramm. Dabei kann es sich um Fotos, Cliparts, Filme, Musik, neue Features, kleine Spiele oder lustige Botschaften handeln. Easter Eggs haben oftmals keinen größeren Nutzen, sondern werden einfach aus Spaß eingebaut. Bei einer Motorradtour verstehe ich unter einem Easteregg eine versteckte Überraschung, die abseits der bekannten Routen verborgen war.
Nächste Woche ist Ostern. Es ist gute Tradition, dass Eier versteckt und gefunden werden. Außerdem ist Wetter angekündigt. Mal sehen, ob ich ein paar Easter Eggs finde, wenn ich Richtung Süden fahre. Da es noch recht früh ist im Jahr und die hohen Alpenpässe trotz Schneemangel noch geschlossen sind, werde ich den Weg in Richtung Süden über nicht ganz so hohe Straßen nehmen. Viele Kurven, schöne Aussichten, viele bekannte Örtlichkeiten und vielleicht das eine oder andere „Easteregg“ wollen gefunden werden.
Also, wo soll es lang gehen? Und wo werde ich Ostereier finden? Diese Strecke habe ich vorab in der dunklen Jahreszeit zusammengestellt:
Samstag, 1. April: Das geht ja gut los! Starkregen und Orkanböen sind vorhergesagt. Bis nach Pontarlier möchte ich heute kommen. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, den mit 25% steilsten Schweizer Straßenpass, den Balmberg, zu befahren. Er sollte das erste Osterei auf dieser Tour werden, da er einigermaßen auf dem Weg liegt. Aber bei dem Wetter bringt das nix. Gut, dass es noch einen Rückweg geben wird, da werde ich dieses Balmberg Osterei einsammeln. Immerhin komme ich jetzt schon durch Bretagne. Da wollte ich schon immer mal hin, und heute liegt es auf dem Weg. Am Nachmittag lässt der Regen nach, die Sonne lässt sich sogar kurz blicken, doch es bleibt kalt. Als ich gegen 18:00 Uhr das Hotel in Pontarlier erreiche, freue ich mich über einen heißen Tee, ein asiatisches Buffet und auf eine erholsame Nacht.

Sonntag, 2. April: Nach einer guten Übernachtung mache ich mich auf den Weg. Ich komme durch das Vallée de Joux – Es ist das Tal der Uhren. Gerade einmal rund 6000 Einwohner tummeln sich in diesem völlig abgeschlossenen Hochtal, aber auf wenige Quadratkilometer verteilen sich hier zahlreiche namhafte Hersteller, darunter Weltmarken wie Jaeger-LeCoultre, Blancpain, Audemars Piguet, Vacheron Constantin und Breguet. Für mich selbst ist allerdings der größte Luxus, überhaupt keine Uhr tragen zu müssen, weil ich mich auf meinem Motorrad befinde und genug Zeit da ist.
Allerdings: Wie ich bei diesem Wetter Ostereier finden soll ist mir schleierhaft. Es regnet und regnet. Im Parc naturel régional du Haut-Jura wird der Regen sogar weiß.

Als es aber doch mal zu regnen aufhört, kann ich aber doch noch einige Kleinode entdecken: Die Gorges De Thurignin erreiche ich nach einer kurzen Wanderung. Der Séran hat in Jahrtausenden wundervolle Formationen und Töpfe in den Fels gemeißelt. Einige hundert Meter weiter ergießt sich das Flüsschen in einem tosenden Wasserfall namens Cascade Cerveyrieu 60 Meter in die Tiefe. Das Panorama hier ist wunderschön und endlich ist auch mal wieder die Sonne zu sehen. Wenig später erreiche ich die Cascade De Glandieu. Einen Vorteil hat der Dauerregen: Es kommt reichlich Wasser den Wasserfall runter.
Ich komme an einer gigantischen Wurstfabrik in Aoste vorbei und erreiche endlich den Parc naturel régional du Vercors. Hier oben ist es so kalt, dass die Linse meiner Helmkamera anläuft und die Fahrt durch die Gorges Du Nan nur verschwommen aufgezeichnet wird. Außerdem stelle ich fest: Die Schneefallgrenze liegt hier heute bei etwa 900 Meter und die Sichtweite bei der Route touristique de Combe Laval etwa 15 Meter. Es wird Zeit, eine Unterkunft zu suchen. Ich entscheide mich für ein Etappenhotel nahe Valence. Hier zeigt das Thermometer immerhin ganze 12 Grad an. Wird doch!
Montag, 2. April: Der Tag fängt leicht trüb an. Doch meine Stimmung ist gut. Ich überquere die Rhone und hier nehme ich Kurs auf die ersten Sonnenstrahlen des heutigen Tages. Heute geht es durch die Provinz Ardèche. Sie gehört zu den am dünnsten besiedelten Regionen Frankreichs. Hier liegen die Cevennen, der südöstliche Teil des Massiv Central. Das Karstgebirge bietet großes Motorradkino. Viele Ostereier sind hier zu finden: Kurven, Gipfel, Furten, Stauseen und Brücken. Der Tag endet bei einem guten „Repas“ in Ruoms.

Dienstag, 4. April: Der Tag beginnt mit einem fröhlichen Stop-and-Go an der Straße oberhalb der Ardèche. An wirklich jedem der 32 Aussichtsbalkone entlang der beliebten Touristenstraße halte ich an, dann geht es auf der spektakulären Straße weiter zum nächsten. Es ist noch früh am Tag. Am berühmten „Pont D’Arc“ bin ich allein.

Heute ist der Parc naturel régional du Luberon meine Hüpfburg. Die Pässe haben hier nicht so bekannte, klangvolle Namen wie die in den hohen Alpen. Sie hören auf Col Du Reychasset, Col de Pierre-Vesce, Col De La Chapelle oder Col De Perty. Doch die Zuwegung ist erstklassig.
Die höchste Erhebung, die ich heute befahren will ist der Mont Ventoux. Mons Ventosos, wie wir Römer sagen. 1913 windige Meter hoch ist er dem Mistral, dem durchs Rhonetal pfeifenden kalten Nordwestwind, ausgesetzt, oft registriert die Wetterstation auf dem Gipfel Windgeschwindigkeiten über 200km/h. Von hier könnte ich das Mittelmeer sehen. Die noch vergletscherten 4000er des Barre Des Ecrins wären in nördöstlicher Richtung zu sehen und den 220km entfernten Mont Blanc könnte man auch in der Ferne erahnen. Der Gigant der Tour De France wird jährlich von Tausenden Radfahrern erklommen. Heute muss ich den Berg aber nicht teilen. Denn ich komme leider auch nicht rauf: Der Gipfel ist geschlossen.
Ich umfahre die Blockade und statte der Gorges de la Nesque einen aussichtsreichen Besuch ab. Dann rücke ich in meine Unterkunft mit Blick auf den windigen Berg im Abendlicht ein. Gute Nacht!

Mittwoch, 5. April: Der Col De Murs ist ganz und gar kein Murks. Als ich das Schild erreiche, habe ich mit dem Kurvenzählen aufgehört. Oberhalb von Bonnieux liegt ein Aussichtspunkt im Zedernwald, von dem man den Luberon überblicken kann. Ein Stück weiter hat sich ein Spaßvogel im 19. Jahrhundert seinen eigenen mittelalterlichen Turm in den Wald gestellt, weil er gerne von hier das Meer sehen wollte. Hat er aber nicht, denn der Erbauer starb vor der Fertigstellung. Heute ragt der Privatturm etwas skurril aus dem Wald heraus, man kann ihn aber leider nicht besteigen, denn er ist ja wie gesagt: Privat. Und da auch ich heute noch das Meer sehen möchte fahre ich weiter.
Vor mir liegt jetzt eine Etappe, die eher im Zeichen der Sehenswürdigkeiten als im Zeichen der Kurve liegt. Erst komme ich noch durch den Parc naturel régional des Alpilles, dann durch Arles, dann wird die Landschaft flacher: Ich befinde mich in der Camargue. Ich komme an Reisfeldern und an Salzwiesen vorbei. Im Hintergrund ein riesiger Berg Salz. In Tüten verpackt wird es als Fleur De Sel zum Verkauf angeboten.
Ein Stück weiter komme ich nach La Grande-Motte. Der in den 1960er Jahren aus dem Nichts entstandene Ort sollte Touristenströme aus Spanien hierhin umleiten. Die Architektur ist recht eigenwillig, um nicht zu sagen, avantgardistisch. Es gibt terrassenförmig angelegte Hochhäuser, pyramidenähnliche Gebäude, welche wohl aus der Inspiration einer Mexikoreise entstanden sind.

Ich kehre um und wende mich nach Süd-Osten, vorbei an Kranichen und Camargue-Pferden, dann über Fähren und unter Brücken und am Meer entlang. Den Großstadtdschungel von Marseille umfahre ich auf der Autobahn, bevor ich in Cassis ins Hotel einchecke.
Donnerstag, 6. April: Nein? Doch! Ooooh! Nach Saint Tropez führt mich der Weg. Vorher statte ich der Route Des Crêtes noch einen Besuch ab. Die Aussicht von hier ist einfach grandios! Weitere schöne Kurven finde ich am Col de l’espigoulier und am Col De Fourche. In St. Tropez sehe ich mir die bekannte Polizeiwache des Herrn De Funes an, die heute ein Filmmuseum beherbergt. Am Hafen ist kaum etwas los, es sind nur wenige oligarchische Yachten verankert.
Es ist erst früher Nachmittag, daher wende ich mich wieder nordwärts durch den Parc naturel régional des Préalpes d’Azur. Unterwegs mache ich auch einen kurzen Stop am Observatoire de Calern. Leider ist hier oben heute keine freie Sicht. Doch die Kulisse mit den weißen Kuppeln wirkt irgendwie surreal, hier könnte man einen Film drehen.
Es wird langsam spät. Schnell buche ich noch ein Zimmer in Puget-Théniers im Tal des Var und komme bei 8 Grad und Abendsonne an.
Freitag, 6. April: Der Tag beginnt mit den wunderschönen Kurven von Entrevaux zur Clue De Saint-Auban. Ein echtes Easter-Egg: Kaum bekannt, doch wunderschön.
Mit Volldampf fahre ich das nächste Ziel an: Der Grand Canyon du Verdon ist die Nummer Eins unter den Schluchten in Westeuropa. Der Nebenfluss der Durance hat sich in laaaaaanger schwerer Arbeit auf einer Länge von 21km bis zu 700m tief durch den Kalkstein gefräst. Die Route Des Crêtes ist meistens um diese Jahreszeit noch nicht befahrbar, daher habe ich diese „Nordschleife“ heute gar nicht eingeplant. Doch von den Balcons de la Mescla 250m oberhalb des Flusses, von den Tunnels de Fayet und am Cirque de Vaumale bieten sich ebenfalls herrliche Aussichten. Erst 1905 wagte man sich auf den Grund der Schlucht, um die letzten weißen Flecken auf der französischen Landkarte ordnungsgemäß einfärben zu können. Heute sind hier Standup-Paddler unterwegs. Oben am Rande des Abgrunds genieße ich beim Roadside-Frühstück die grandiose Aussicht.

Auf der weiteren Fahrt in Richtung Heimat sammle ich noch weitere Ostereier wie die Clue De Barles, die Gorges des Gâts und den Cirque d’Archiane in mein Körbchen, bevor ich in Grenoble ins Hotel einchecke.
Samstag, 7. April: Entgegen meiner üblichen Angewohnheit, am Abend noch das Motorrad zu betanken, habe ich gestern die GS sozusagen ohne Abendessen ins Bett geschickt. Da aber die Tankstelle gegenüber dem Hotel liegt, sollte das kann Problem sein, dachte ich. Doch als ich an der Zapfsäule stehe, stelle ich fest, dass heute kein 98er Benzin mehr verfügbar ist. Zwei weitere Tankstellen muss ich besuchen, bis der Tank wieder voll ist. Durch die kalte Chartreuse und Aix-les-Bains steuere ich den Grand Colombier Pass an. Leider ist dieser noch im Winterschlaf und ich muss einen Umweg machen. Am Belvédère de Cuvéry et du Catray halte ich inne. Was für ein Panorama, vom Jura zu den Schweizer Alpen! Vor mir ein grünes Tal, und über Allem thront der mächtige Montblanc.

In Pontarlier bleibe ich heute Nacht. Es ist das Osterwochenende. Das Hotel soll heute doppelt so teuer sein wie letzte Woche. Ob ich da ein Osterei zum Frühstück dazu bekomme? Das werde ich nicht feststellen, denn ich kehre heute anderwärts ein. Doch auch dort ist das Zimmer unverhältnismäßig teuer: Für den Preis hätte ich ein geheiztes Zimmer und einen Wasserkocher für angemessen befunden.
Sonntag, 9. April: Durch die Schweiz geht es in den Endspurt nach Hause. Der Balmberg fehlt ja noch in meiner Ostereiersammlung. Nachdem ich den eingesammelt habe geht es schnurstracks durch den Schwarzwald in die Landeshauptstadt. Da habe ich noch das schönste Osterei in den Arm zu nehmen.
Die Strecke: DOWNLOAD
Das Körbchen mit Easteregg: