Keine Pässe – Visumfreies Fahrvergnügen auf Höhenstrassen und Hochtälern

Pässe fahren! So lautet die Antwort vieler Motorradfahrer, wenn es um die Frage nach der liebsten Urlaubsbeschäftigung geht. Auch ich bin in den letzten Jahren auf vielen Pässen unterwegs gewesen. Dieses Jahr mach ich es aber anders: Ich fahre Keine Pässe. Anders gesagt, ich setze die Idee der Seitenstraßen und Sackgassen Tour letztes Jahr konsequent fort. Denn Höhenstrassen und Hochtäler versprechen Hochgefühle! Und falls doch einmal ein Pass auf der Strecke liegen sollte, dann soll es mir recht sein.

Viele schöne Nichtpässe finden sich in Österreich, der Schweiz und auch in Frankreich sind Keine Pässe zu finden.

Sonntag 13.8.

Es ist schon früher Nachmittag, als ich mich auf den Weg mache. Es ist warm und trocken. Doch schon bei Filderstadt ist von Weitem ist zu sehen: Es sieht nach Regen aus. Und tatsächlich: In Bad Urach kommt ordentlich was runter. Doch schon am hinteren Ende des Lautertals hört es wieder auf. Die Sonne kommt raus. Es wird wärmer. Das Themometer klettert sogar auf ganze 32 Grad. In Verbindung mit dem Fahrtwind bin ich im Handumdrehen wieder trocken.

Es geht am Bodensee vorbei über die Ausläufer des Pfänder nach Sulzberg. Die Aussicht von hier ist phantastisch: Ich finde es sieht ein bisschen so aus, als hätte Bob Ross die Landschaft gemalt.

Sulzberg

Ich übernachte oben am Hochtannbergpass. Nun noch 2 Radler und eine Portion Pommes auf der Terrasse, dann die Füße hoch und das Gewitter beobachten.

Montag 14.8.

Nach einem guten Frühstück geht es weiter Richtung Silvretta Hochalpenstrasse. Sie ist der ideale Einstieg in diese Tour. Die Mautstraße führt 22,3 km von Partenen im Montafon in 34 Kehren über die auf 2.032 m hoch gelegene Bielerhöhe bis nach Galtür im Paznauntal. Sogar hier bleibt man allerdings nicht vor nervigen roten Golf GTIs mit Doppelbuchstabenkennzeichen aus dem Stuttgarter Umland verschont.

Einige Kilometer später biege ich rechts ab nach Samnaun. Der schneesichere Schweizer Ferienort (1865 m) ist über zwei Wege zugänglich: über die auch im Winter offene Zufahrt über Österreich (mein Weg rein) und über die kurvige Strasse mit engen Tunnels in der Schweiz (mein Weg raus). Da Samnaun zollfrei ist, lohnt sich hier das Tanken und Einkaufen von Tabak, Rolexuhren und Parfüm.

Aus Versehen befahre ich heute aber nun doch noch den Ofenpass und den Umbrailpass. Nach einer Apfelstrudel- und Kaffeepause am Tibethaus befahre ich das Stilfser Joch sogar zweimal, bevor ich in Bormio in einen zum Einzelzimmer umfunktionierten Besenschrank einziehe.

Das hab ich ja noch nie gesehen 🤣🤣🤣

Dienstag 15.8.

Bormio verbindet man Pässe-mässig mit dem Stilfser Joch oder dem Gavia-Pass. Die Höhenstrasse zu den beiden Türmen Torri di Fraele (1963 m) ist weniger bekannt. Die Strecke ist einfacher zu fahren, als unten mit Blick nach oben erwartet. Bei den beiden Türmen hat man einen Überblick über die gut ausgebauten zweispurigen Spitzkehren mit angenehmer Steigung. Oben liegt der Lago Di Cancano in friedlicher Stille, die lediglich durch 11.000 Mountainbiker gestört wird, die natürlich alle umweltfreundlich mit dem Auto gekommen sind.

Nach einem günstigen Tankstop in Livigno fahre ich an Sankt Moritz vorbei und dann über den Albulapass nach Westen. Je tiefer ich komme, desto wärmer wird es. 32 Grad zeigt das Thermometer. Die Via Mala ist für einen Fotostop geeignet, außerdem ist es schattig und etwas kühler.

Nun geht es weiter nach Juf im Averstal. Auf einer Höhe von 2126 m gelegen, ist das Dorf die höchstgelegene ganzjährig bewohnte Ortschaft der Schweiz und in Europa. Die Zufahrt ist gut ausgebaut und sorgt für landschaftlichen Genuss und Fahrspass. Am Ende des Tales kommt man sich vor, als hätte man Ushuaia erreicht. Von hier aus geht es nur noch zurück. Als ich das Ende des Weges erreicht habe und das obligatorische Photo machen will, spricht mich ein etwa 5 jähriges Mädchen an. Sie habe Käse und Wurst zu verkaufen. Ich bin etwas irritiert und will sie einerseits nicht darin bestärken, unbekannte Männer anzuquatschen, andererseits will ich ihr auch nicht das kindliche Urvertrauen nehmen, indem ich unfreundlich bin. Ich gehe den Mittelweg und entgegne, dass mir eher nach Kaffee ist, und ich deute auf eines der kleinen Lokale im Ort. „Chafi gits au“ sagt sie und deutet hinter sich. Ok, sage ich, sie soll doch vorgehen und ich könnte ich ja hinter ihr her zum Kaffee fahren. 30 Meter später stelle ich fest: Der Kaffee mit Aussicht, den mir ihre Oma serviert ist ganz hervorragend und er passt hervorragend zum dazu gereichten hausgemachten Zwetschgenkuchen.

Im Restaurant am Ende des Universums

Frisch gestärkt trete ich den Rückweg Richtung Norden an. Einen kleinen Zwischenstop lege ich am teils in Italien, teils in der Schweiz gelegenen Stausee Lago Di Lei mit seiner gigantischen Staumauer ein.

Das Ziel der heutigen Etappe ist Innerarosa. Der auf 1894 m gelegene Ort ist der obere Teil des bekannten Bündner Ferienortes Arosa im Schanfigg. Die Zufahrt ab Chur mit 360 Kurven bietet einen tollen Blick auf das Langwieser Eisenbahn-Viadukt. Auf der Strasse zwischen Langwies und Arosa findet, wie jedes Jahr, Ende August das internationale Bergrennen Arosa ClassicCar mit Oldtimer-Autos und-Motorrädern statt. Überall wird darauf auch hingewiesen.

Mittwoch, 16.8.

Der Tag beginnt sonnig. Ich fahre wieder runter ins Tal und komme durch Chur und die bekannten Skiorte Flims und Laax. Dann biege ich links ab: Die Zufahrt zum Zervreilasee (1864 m) im Valsertal führt durch einen knapp zwei Kilometer langen Tunnel. Dieser ist jeweils nur in einer Fahrtrichtung befahrbar. Die Einfahrt wird durch eine Ampel geregelt, was bis zu zwanzig Minuten Wartezeit bedeuten kann. Wer allerdings wie ich dem Postbus folgt macht alles richtig: der Fahrer hat wohl nen magischen Knopf und daher beträgt meine Wartezeit heute bei Hin- und Rückweg 0 Minuten. Oben findet sich eine Landschaft wie gemalt.

Zervreila

Weiter westwärts Richtung Zentralschweiz geht es über den Oberalppass und weiter zum Gotthard. Die Autobahn hier rund um Wassen und Göschenen ist berüchtigt für stundenlange Staus. Dabei liegt gar nicht weit entfernt eine echte Perle: Die Göscheneralp (1782 m) . Hierhin gelangt man kaum zufällig, aber es lohnt sich. Deshalb fahre ich genau wie auch das Postauto bis zum Göscheneralpsee, den man umwandern könnte. Es sieht aber nach Regen aus und außerdem wandere ich nicht gerne in Motorradkleidung. Daher fahre ich die Straße, auf der ich gekommen bin, wieder herunter.

Ein Etappenziel habe ich heute noch: Den Sustenpass-Steingletscher (2096 m), Es fängt zwar an zu regnen, doch ich bin wasserdicht gekleidet und ich weiß: Bei einer Fahrt über den Sustenpass lohnt sich der kurze Abstecher. Diesen erreicht man über die Strasse ab dem gleichnamigen Berghotel-Restaurant kurz unterhalb der Susten-Passhöhe auf der Berner Seite. Für diesen coolen Abstecher zum Parkplatz direkt beim Steingletscher bezahlt man einen bescheidenen Betrag. Als ich grade am Ticketautomaten stehe, hört es auf zu regnen. Und oben am Ende des Weges kommt sogar die Sonne raus, damit ich mein Winke-Photo machen kann.

Den Abend beschließe ich in Altdorf, einem hübschen alten Dorf mit alten Häusern, das mir ansonsten als Einstieg in den Klausenpass bekannt war.

Winkender Teilnehmer vor dem Steingletscher

Das Video zu diesem ersten Teil der Reise ist hier:

Donnerstag, 17.8.

Der Bürgenstock (865 m) ist als Höhenstrasse auch mit dem Motorrad lohnenswert, so wurde mir gesagt. Ich habe aber Schwierigkeiten, die beste Stelle mit der besten Aussicht zu finden. Denn den Bergrücken darf man nicht befahren. Nach etwas kurvenreicher Fahrt stelle ich fest: es gibt mindestens zwei. Die erste ist die Terrasse des Hotels Villa Honegg. Die zweite ist oben am namensgebenden Luxus-Hotel-Resort. Dort stelle ich das Motorrad am vorderen Parkplatz ab und gehe ein Stück über die Promenade zu Fuss, um die traumhafte Aussicht auf Luzern zu geniessen, die nur von den aufziehenden Wolken getrübt wird. Hier oben ist ein Luxusrummel für russische, chinesische und arabische Leute mit zu viel Geld entstanden. Mir ist hier genauso wohl wie in den teueren 5 Sterne Hotels in Dubai, in denen ich schon übernachtet habe: Nix wie weg!

Bei der Älggi-Alp (1650 m) liegt der geografische Mittelpunkt der Schweiz. Dieser wurde mit modernsten Messmethoden zum 150-jährigen Bestehen der Schweizerischen Landestopografie bestimmt. Die schmale Strasse ist teilweise steil und nichts für Motorradanfänger. Wer am Stelvio Probleme hat sollte hier sicher nicht fahren. Bergfahrten sind an Wochenenden nur in den ersten vierzig Minuten gerader Stunde erlaubt. Gut, dass heute Donnerstag ist. Kaum bin ich oben angekommen, bricht ein Gewitter mit Hagel los. Kein Problem, das sitze ich bei einem Sennenrösti aus. Den eigentlichen Mittelpunkt der Schweiz erreiche ich in zehn Minuten zu Fuss, als die Sonne sich wieder sehen lässt. Merke: Was für den Norwegen-Reisenden das Nordkapp ist, ist für den Eidgenossen dieser Fleck.

Das Nordkapp der Schweiz

Weiter geht’s nach Grindelwald am Fuße der Eiger Nordwand. Wir haben damals den Film über die Erstbesteigung gesehen und seither möchte ich hier gerne mal hin. In Interlaken fängt es an, wie aus Eimern zu regnen. Wer hat sich den Namen für den Ort eigentlich ausgedacht? Interlaken – Klingt wie Bettwäsche für die Übergangszeit. Naja, es wird damit schon seine Bewandtnis haben. Im Hotel begegne ich einem Dreigestirn aus Biberach: Klaus, Wolfgang und Bertel. Die sind heute um 13:00 angekommen und eigentlich zum Radfahren hier, verbringen aber wegen Schlechtwetter den Nachmittag mit der Verköstigung von mitgebrachtem Bodenseeweisswein, bevor sie gegen 20:30 ins Zimmer einchecken. Es wird ein lustiger Abend. Ich komme nicht viel zum Schreiben oder Video machen, die nette Gesellschaft gefällt mir heute besser. Danke dafür! Später schlafe ich mit Blick auf den Eiger mit seiner Nordwand ein.

Nordwand

Freitag 18.8.

Ich muss früh aufstehen, denn ich habe einen Frühaufstehertermin heute. Pünktlich um 7:30 bin ich beim Frühstück. An der Rezeption kaufe ich mir ein Early Bird Ticket, um auf „The Top Of Europe“ zu fahren. Damit verbinde ich zwei Vorteile: erstens habe ich kaum Wartezeiten beim Einstieg in den Expresslift und dann beim Umstieg in die Zahnradbahn. Zweitens ist das Early Bird Ticket deutlich günstiger als das reguläre Ganztagesticket: Es kostet nur einen Euro mehr als das 8qm Zimmer in Bormio. Oben auf dem 3450m hohen Jungfraujoch haben die Eidgenossen einen veritablen Tourismuszirkus installiert. Eisgrotte, Schokoladenmuseum, Souvenirshops, 360 Grad Erlebniskino….wahrscheinlich ist das alles nur Ablenkung, damit nicht alle Touristen gleichzeitig auf der Aussichtsplattform oben herumlaufen. Das Panorama ist hier oben allerdings atemberaubend. Und wenn man sich etwas Zeit lässt und etwas genauer hinsieht, dann sieht man sogar einige Bergsteiger auf dem Weg nach oben.

The Top Of Europe

Der Weg zurück ins Tal ist ganz ohne Wartezeit und sogar das Parkhaus ist für Motorräder gratis.

Ich schaue mir dann noch die Basejumper in Lauterbrunnen an, die sich wagemutig von den steil über der Talsohle aufragenden Klippen stürzen. Die mit dem Motorrad (und anderen Motorfahrzeugen) legal befahrbare Strasse im Lauterbrunnertal führt bis nach Stechelberg (908 m). Wer gerne Wasserfälle ansieht ist hier richtig: Es gibt ganze 72 Wasserfälle, sogar die wohl die grössten unterirdischen Wasserfälle Europas namens Trümmelbachfälle. Doch diese lasse ich aus: Hier ist alles total überlaufen und hier möchte ich nicht bleiben.

Es ist noch früher Nachmittag als ich meinen Weg Richtung Süden lenke. Unterwegs suche ich mir noch ein ruhiges, schattiges Plätzchen zum Telefonieren, bevor ich den Grimselpass in Angriff nehme. Den Oberaarsee (2300 m) erreicht man über eine gut ausgebaute Höhenstrasse, die direkt auf der Grimselpasshöhe beginnt. Achtung: die Panoramastrasse Oberraar ist jeweils nur in einer Richtung befahrbar! Ab Passhöhe Grimsel jeweils mit Start in den ersten zehn Minuten jeder Stunde. Und ab Stausee Oberaar jeweils mit Start zwischen der dreissigsten und vierzigsten Minute jeder Stunde. So kann man die Straße in Ruhe befahren und sich von der hochalpinen Umgebung verzaubern lassen.

Den Abend lasse ich in Ackersand im Wallis im gleichnamigen Hotel mit angeschlossener Pizzeria ausklingen.

Samstag 19.8.

Mein erstes Ziel heute ist der Stausee Mattmark im Saastal. Der Stausee liegt auf 2197 m im Walliser Saastal. Die Strasse bis zum Stausee ist gut ausgebaut. Er kann von Leuten, die das gerne machen, gerne zu Fuss umrundet werden. Mir genügt es, den riesigen Staudamm zu bewundern: es ist schließlich Europas grösster Erdstaudamm!

Nun geht es über die Moosalp wieder in das Haupttal des Wallis. Ich fahre auf die Nordseite des Tals und lege auf meinem Weg nach Westen zwei Abstecher in die Höhenlagen ein. Das ist auch dringend nötig, denn unten im Tal ist die Temperatur auf über 35 Grad angestiegen. Oben am Lac De Tseuzier sind es angenehme 22 Grad. Im örtlichen Restaurant möchte ich gerne essen, doch leider sind alle Plätze von Radlern oder Wanderern belegt, die in großen Gruppen an den Tischen sitzen. Also fahre ich weiter zum Col du Sanetsch (2252 m) Dieser ist für Fahrzeuge nur von der Walliser Seite her befahrbar und führt im oberen Teil durch einen spektakulären in den Fels gehauenen Tunnel. Er ist somit (zumindest für Motorräder und Autos) den Höhenstrassen und nicht den Pässen zuzuordnen. Auf der Nordseite können Wanderer und Radler die Gondel nach Gsteig nehmen. Ich gönne mir hier oben nun doch eine Kaffeepause bei angenehmen 25 Grad, bevor ich wieder ins heiße Tal herunterfahre.

Tunnel mit Durchblick

Ich übernachte im mondänen Skiort Verbier. Das Zimmer ist winzig, hat aber einen schönen Balkon mit Blick auf den belebten Hauptplatz des Ortes.

Sonntag 20.8.

Über den großen St. Bernard Pass komme ich ins italienische Aostetal.

Das heutige Ziel ist der Colle del Nivolet. Anders als der französische Name vermuten lässt, befindet sich dieser in Italien. Der Colle del Nivolet auf 2612m Höhe ist nur wenige Kilometer Luftdistanz vom höchsten Alpenpass Col de l’Iseran in Frankreich entfernt. Doch über die Strasse liegen 215km beziehungsweise 5 Stunden dazwischen. Der Colle del Nivolet ist für den motorisierten Verkehr eine Sackgasse und ist somit ebenfalls eine Höhenstrasse, und zwar eine mit einem langen Anfahrtsweg. Belohnt wird man mit einem sensationellen Alpenpanorama.

Ende Gelände am Colle Del Nivolet

Ich quäle mich mit den vielen anderen Ausflüglern den Berg wieder herunter ins Tal. Es wird immer heißer. Außerdem habe ich Hunger. Als kleinen Snack genehmige ich mir eine Portion Polenta mit Bergkäse, dazu Salsiccia in Tomatensoße. Das Ganze kostet mitsamt Kaltgetränk nur 15 Euro. Endlich wieder zivile Preise! Das gilt auch für das deluxe Doppelzimmer für 63,11 Euro. Parkplatz vor dem leeren Hotel, Klimaanlage im Zimmer zum Abkühlen…Herrlich!

Das Video zu dieser Etappe ist hier:

Montag 21.8.

Ich verlasse das gekühlte Zimmer und schwinge mich bei jetzt schon 30 Grad auf mein Moped. Der erste Stop: Einkaufen. Ich hole mir einen Pfirsich, Taralli (Hurra, es gibt sie hier!), zwei Foccacia für das Spätstück bzw. das frühe Landschaftsmittagessen, und zwei Dosen Orangensaft von San Pellegrino. Da freu ich mich schon drauf: Ich suche mir später ein schattiges Plätzchen, vielleicht sogar mit Aussicht…. Aber erst noch tanken, und es geht Richtung Susa. Hier rumple ich die Strada Dell Colle delle Finestre hoch. Mmmmh, jetzt mein Frühstück!

Doch als ich das Topcase aufmache, sehe ich die Bescherung. In den zwei Dosen mit Orangensaft war offenbar kein Saft, sondern Orangenlimonade und die Dosen waren undicht. Der gesamte Inhalt schwimmt jetzt im Topcase. Ich kann bestätigen: es ist eindeutig wasserdicht, es fließt nix ab. Ich kann es zwar trocknen, aber alles ist klebrig. Ein schattiges Plätzchen ist auch nicht zu finden, entweder sitzt da schon jemand oder es knallt die Sonne. Also verspeise ich mein Spätstück im Stehen oben am Colle Finestre und kann dann frisch gestärkt die Weiterfahrt über die Assietta Kammstraße antreten. Die ist ja kein Pass (obwohl es den Pass da oben gibt) und darf deshalb auf dieser Reise mitmachen.

Der nächste Halt ist Saint-Véran. Es ist die am höchsten gelegene Gemeinde Europas und ein Touristenmagnet, seitdem das Dorf zum schönsten Dorf Frankreichs gekürt wurde. Um dort hinzukommen muss ich über den Col D‘Izoard fahren. Der ist jetzt touristisch umgebaut. In Saint-Véran geht dann das Internet im Handy nicht mehr, grade als ich meine nächste Unterkunft suchen will. Irgendwie hat die Buchung eines Extra Datenpakets für die Schweiz die Datennutzung im übrigen Europa eingeschränkt. Um das zu beheben, nutze ich das Wifi in der Lobby des örtlichen 4 Sterne Hotels. Gewusst Wie! Neben den Sonnenuhren an den Häusern und dem Eis, das ich mir gönne, ist das Wifi das Beste an dem Örtchen. Das nervigste ist jedenfalls, dass man sein Fahrzeug unten parken soll und dann in bei der Hitze den Ort hochlaufen, und dafür noch zwei Euro Parkgebühren zahlen muss.

Über den Colle Dell Agnello fahre ich nach Sampeyre zu dem Hotel, das ich in der Lobby des Hotels in Saint-Véran gebucht hab. Es stellt sich als Zeitreisehotel heraus: Die Zeit ist hier vor etwa 30 Jahren stehengeblieben. Doch für die meisten Gäste hier ist das wohl völlig ok. Ich bin mit Abstand der jüngste Gast hier.

Ein Blick zurück am Colle Dell Agnello

Dienstag 22.8.

Nach einem ordentlichen Frühstück geht es erstmal über den Colle Di Sampeyre Richtung Süden. An der Südrampe sind die Schlaglöcher so tief, dass man darin übernachten könnte.

Weiter geht die Panoramafahrt über die Maira Stura Panoramastrasse. Etwas rumpelig das Ganze, viele Wanderer, Mountainbiker und 4×4 Offroadjeeps sind unterwegs.

Im Tal unten plagt mich ein Hüngerchen. In Sambuco halte ich an und freue mich über die zivilen italienischen Preise: Tortellini al Ragu, Cola, 2 Kugeln Eis, einen Espresso: 16 Euro. Weniger als der halbe Preis einer Pizza in der Schweiz.

Über den Colle Maddalena komme ich nach Frankreich. Hier habe ich ein Ziel: die kleine, schmale Brücke Pont Du Châtelet. Die führt in schwindelerregender Höhe über den Fluss Ubaye. Die Drohne fliegt mangels Akkuladung leider nicht lange, aber einige Bilder sind im Kasten, als ich mich zum Hotel aufmache. Das Hotel ist das einzige Hotel, in dem ich je war, das auf eigener Achse lediglich über eine schwierig zu fahrende Schotterstraße erreichbar ist. Für mich kein Problem, andere müssten den Sessellift nehmen. Ich bin der einzige Gast und es ist hier einfach magisch.

Hotel mit erschwerter Zufahrt

Mittwoch 23.8.

Wenn der Tag mit einer kleinen Geländeeinlage losgeht, dann kann es ja nur gut werden. Ich bin am Morgen nur mit einem Kaffee losgefahren. Unterwegs in Embrun besorge ich mir in einem Intermarché etwas Wegzehrung. Die haben ein Regal nur mit Taralli! Tomate, Käse, Salami, Baguette, 4 Liter Wasser und ein Liter Eistee; alles wandert in mein Topcase, das ich im Hotel in Sampeyre generalgereinigt habe. Später an der Durance finde ich ein wunderschönes Picknickplätzchen im Schatten. So hätte es vorgestern auch sein sollen!

Ich halte mich auf der „Route De Puys“ auf halber Höhe. Unten liegt der Lac De Serre-Poncon in blaugrüner Stille. Immer wieder kommt er schön in Sicht.

Lac De Serre-Poncon

Einige Abstecher rechts und links befahre ich. Merlette ist derjenige, der sich am Wenigsten lohnt. Ein seelenloser Skiort aus der Retorte. Im Winter wahrscheinlich für den Skiurlaub ganz super. Jetzt im Sommer eher öde. Auch nach Le Désert De Valjouffry muss man nicht fahren (kann man aber, und am Sackgassenende ein Eis essen oder am Brunnen die Trinkwasservorräre auffüllen).

Die Fahrt über den Col Du Noyer ist dagegen eine angenehme Überraschung, genau wie die Fahrt hoch zum Sanctuaire La Salette, einem hoch über dem Tal thronenden Kloster.

Über den Col D‘Ornon komme ich nach Alpe D‘Huez. Bei 36 Grad checke ich um 17:55 ins Hotel ein. Duschen, essen, schreiben, telefonieren, schlafen. Der Tag war schön, aber mir zu heiß. Ich habe 6 Liter Wasser und Eistee getrunken und das alles ausgeschwitzt. Pfffft. Hoffentlich wird es morgen etwas kühler!

Donnerstag 24.8.

Ein wunderschöner Morgen. Ich schlürfe noch einen Milchkaffee und zische los, bevor es so richtig warm wird. Erstmal zum wach werden ein paar Kurven am Pas De La Confession, dann weiter über einige Cols. Ich wollte zwar eigentlich keine Pässe fahren, aber hier liegen die einfach so im Weg rum und müssen nur noch aufgesammelt werden: Col Du Glandon, Col De La Madeleine, Col De La Forclaz…ich nehme sie einfach mal mit. Wieder muss ich viel trinken, denn das Thermometer im Cockpit zeigt hin und wieder über 39,5 Grad an.

Der Col De L‘Arpettaz ist mein Lieblingspass. Die Südrampe ist verschlungen, steil und eng. Die ersten zwei Gänge des Motorrades reichen völlig, um sich hier in die Höhe zu schrauben. Oben gabelt sich der Weg. Ich biege links auf die Route Des Montagnes ab. Links ragt über mir die Bergkette der Trois Aiguilles auf. Rechts ist das Tal, im Hintergrund überragt ehrfurchtgebietend der Montblanc die Welt. Was für eine Szenerie!

Les Stallets

Am Col De Joux Plane kommt er vorerst ein letztes Mal in Sicht. Am Pas De Morgins komme ich wieder in die Schweiz. Der Himmel hat sich zugezogen, doch es regnet noch immer nicht. Mal sehen, wie es morgen wird. Ich habe gehört, der Herbst ist im Anrollen!?

Freitag 25.8.

Ich starte zeitig. Heute will ich zurück in den Heimathafen. Aber ich nehme den langen Weg. Bei Montreux entdecke ich eine Straße, die mit offiziellen 27% Steigung in meine Sammlung steiler Straßen darf. Dann ein Stück Autobahn, um dann rechts abzubiegen und in den Gantrisch hoch zu fahren. Am Gurnigel soll es eine super Bratwurst geben. Aber nicht heute früh. Um diese Uhrzeit gibt es hier nur schönes Licht, um ein Bild von der phantastischen Landschaft zu machen, die sich vor mir ausbreitet.

Nun geht es, teilweise auf der schweizerischen Autobahn, Richtung Basel. Eine Vignette ist wirklich Pflicht, wenn man in der Schweiz unterwegs ist. Die Städte sind alle voll und eng. Zu viel Verkehr. Da hilft es schon, die Autobahn zu nutzen, um Strecke zu machen.

Den Endspurt von Basel nach Stuttgart absolviere ich auf zügigen deutschen Landstraßen. Hier muss es gestern ordentlich gestürmt haben, die Temperaturen sind nur noch zwischen 21 am Feldberg und 25 Grad im übrigen Schwarzwald. Doch als ich in Stuttgart ankomme, steht das Thermometer schon wieder bei 29. Das war ne heiße Runde!

3770 Kilometer habe ich an diesem langen Wochenende zurückgelegt, viele Eindrücke gesammelt, endlich Taralli mitgebracht. Meinen Pass habe ich nur zweimal in italienischen Hotels zeigen müssen. Ansonsten bin ich visumfrei herumgekommen. Und viele Fotos und Videos habe ich gemacht. So viele, dass das dritte und letzte Video dieser Reise etwas länger geworden ist:

Diese Route war als grobe Richtschnur geplant, und so in Etwa kam das auch hin:

Hier die Aufzeichung der Reise als gpx

Veröffentlicht von MoTranshumance

Born to Ride - Forced to Work

3 Kommentare zu „Keine Pässe – Visumfreies Fahrvergnügen auf Höhenstrassen und Hochtälern

  1. Genau meine Art zu reisen: schaun mer mal, was kommt.
    Schön beschrieben, schön fotografiert, fein geschnitten.
    Ich hab bei dir viele gerade erst „eingelöste“ Punkte meiner eigenen Wishlist gesehen.
    Und diese um etliche neue Punkte ergänzt 🙂
    Wow, ich glaub ich muss gleich morgen wieder los.
    Danke fürs Mitnehmen 🙏

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